Eine kleine Geschichte vom Fallschirmspringen

 
Der Wecker läutet, und du denkst: das kann doch nicht sein, es ist Wochenende! Du rappelst dich mühsam auf, um das lästige, laute Ungetüm zum Schweigen zu bringen, und da fällt es dir siedend heiss ein - du hast heute einen Termin, einen ganz speziellen Termin - einen Termin, der dein Leben verändern könnte: heute hast du einen Termin zum Tandemfallschirmspringen. Plötzlich bist du hellwach, und alle deine Sinne laufen auf Hochtouren - und so ganz nebenbei entsteht auch noch so ein lausiges Kribbeln in der Bauchgegend ...
 
Bewaffnet mit der Anfahrtsskizze machst du dich schließlich auf den Weg - er ist viel kürzer als dir lieb ist - schon kommt der letzte Kreisverkehr, dort wo du links musst, und nach dem nächsten Abbiegen stehst du auch schon vor dem Hangar. Die letzten paar Meter sind zu Fuß zurückzulegen - und plötzlich stehst du mitten im Getümmel. Kein bekanntes Gesicht, seltsam gekleidete Leute und viele Dinge, die du noch nie in deinem Leben gesehen hast, umgeben dich - aber das fröhliche Lachen und die vergnügte Stimmung, die hier herrscht, lassen dich das Kribbeln im Bauch fast vergessen. Das Zentrum ist die Anmeldung, und auf die steuerst du auch erst einmal los - die Formalitäten sind schnell erledigt und das Warten kann beginnen.
 
... seltsam gekleidete Leute und viele Dinge, die du noch nie in Deinem Leben gesehen hast ...
 
Auf einmal steht jemand neben dir und erklärt dir, was da rund um dich passiert, was alles zur Ausrüstung eines Fallschirmspringers gehört, und wie sicher der Sport eigentlich ist. Er erklärt dir, wie der Fallschirm funktioniert und wie der Fallschirmsprung üblicherweise abläuft. Und bevor du noch lange darüber nachdenken kannst, siehst du genauso aus wie die seltsam gekleideten Leute von vorhin: Du hast einen Overall an, eine Lederhaube auf dem Kopf und eng anliegende Schutzbrillen vor den Augen. Deine Freunde, die dich begleitet haben, grinsen breit und zücken die Kamera. Dann bekommst du das Gurtzeug umgeschnallt und der feste Sitz der Gurte vermittelt dir ein Gefühl der Sicherheit. Mittlerweile hast du alles um dich herum vergessen, es gibt nur mehr dich, deinen Tandeminstruktor und seine Stimme, die die wichtigsten Dinge immer wieder wiederholt. Ganz sicher bist du dir zwar nicht mehr, ob du das alles eigentlich wirklich willst, aber das Flugzeug macht einen derartigen Lärm, dass du das Gefühl hast, dir mit deiner Stimme, von der du dir ohnehin nicht sicher bist, ob sie dir noch gehorcht, kein Gehör verschaffen zu können. Daher lässt du dich widerstandslos in das Flugzeug zwängen und kaum hast du all deine Extremitäten sortiert, beginnt der Flieger zu rollen, immer schneller und schneller, bis das Rütteln aufhört und der Boden unter dir immer kleiner wird - jetzt hat das Abenteuer wirklich begonnen!
 
... vor dir 4.000 m lang nichts als Luft...
 
Die Luft wird immer kälter, die Dinge am Boden immer kleiner, aber bevor du dir noch wirklich Sorgen machen kannst, vernimmst du die vertraute Stimme deines Instruktors, der dir den Fallschirmsprung noch einmal erklärt. Dann schnallt er dich mit dem Gurtzeug fest an sich, und von nun an seid Ihr bis zur Landung untrennbar miteinander verbunden. Das Kribbeln im Bauch wird wieder stärker, aber jetzt geht es Schlag auf Schlag: die Türe des Flugzeuges wird geöffnet, der Wind bläst dir mit voller Wucht ins Gesicht, und die Dinge auf der Erde sind winzig klein. Arme und Beine müssen nochmals sortiert werden, dann sitzt du in der Türe des Flugzeuges - vor dir 4.000 m lang nichts als Luft...
 
Und plötzlich, du weisst nicht einmal genau wie, hast du rund um dich herum nichts Festes mehr. Im ersten Moment fällt dir die Orientierung schwer, du siehst das Flugzeug kurz von unten, dann kommt wieder der weit entfernte Boden in dein Blickfeld und einige Momente später spürst du nur noch den Wind, der dich von unten trägt und in deinen Ohren ein Rauschen verursacht, dass nicht einmal dein lautester Freudenschrei von irgend jemanden gehört werden kann. Das Adrenalin pumpt durch deine Adern und du überlegst kurz, ob du dieses Gefühl auch nur irgendwie deinen Freunden unten am Boden beschreiben kannst. Aber bevor du noch adäquate Worte gefunden hast, gibt es einen leichten Ruck, ein Rascheln, und mit einem Mal ist es wunderbar leise um dich herum: Dein Tandeminstruktor hat den Schirm geöffnet.
 
Er drückt dir die Steuerleinen in die Hand - links ziehen, und Ihr macht eine Linkskurve - rechts ziehen, und Ihr fliegt nach rechts. Und statt den Ausblick zu bewundern bist du eifrig dabei, Kurven zu fliegen. Doch leider kommt der Boden zwar langsamer als zuvor, aber dennoch unaufhörlich näher...
 
Am Boden stehen deine Freunde mit dem Fotoapparat, und du winkst Ihnen zu und Überlegst, ob die Landung wohl glatt gehen wird. Dein Instruktor erteilt dir die letzten Anweisungen, und kaum hast du sie befolgt, stehst du auch schon wieder mit beiden Beinen auf der Erde und fragst dich, wann du wohl den nächsten Tandemsprung machen könntest, oder ob du vielleicht gleich die Lizenz zum Fallschirmspringen angehen wirst.