Der erste Fallschirmsprung meines Lebens
Es ist Samstag Morgen, und ich sitze in meinem Auto und fahre gerade die Auffahrt zur Südautobahn hinauf. Mein Blick fällt auf die Uhr - sie zeigt 6.45 - und da ziemlich wenig Verkehr herrscht, erlaube ich meinen Gedanken einen Spaziergang in die Vergangenheit, zurück zu jenen Ereignissen, die mich am Wochenende zu einer derartig nachtschlafenden Zeit putzmunter am Steuer eines PKW sitzen lassen.
Begonnen hat alles, wie immer, ganz harmlos. Meine liebenswerten Freunde überraschten mich zum Geburtstag mit einer riesigen Schachtel - wenn ich mich recht erinnere, war es ein Übersiedelungskarton. Nichts Gutes ahnend begann ich auszupacken - um nach zahllosen zerknüllten Zeitungspapieren zum Kern des Geschenkes vorzudringen: ein Gutschein für einen Tandemfallschirmsprung.
Eigentlich wollte ich so etwas immer schon machen, aber irgendwie hatte es sich vorher nicht ergeben. Da aber war endlich der Anlass, nein, nicht nur der Anlass, sondern sogar ein bereits bezahlter Fallschirmsprung - und ich nutzte die Gelegenheit so schnell wie möglich. Selbst jetzt, nach fast einem Jahr, überkommt mich noch das Prickeln und die unbändige Lebensfreude, die mir der Tandemsprung damals vermittelt hat. Und voll von diesem unglaublichen Erlebnis begann ich fast sofort Informationen über die Ausbildung zum Fallschirmspringer zu sammeln. Wäre der Winter nicht gewesen... so aber hatte ich wenigstens genug Zeit mich darauf zu freuen, am ersten Kurs im Frühjahr teilzunehmen zu können.
Begonnen hat alles, wie immer, ganz harmlos.
Ein kleines Lächeln schleicht sich in meine Mundwinkel, wenn ich an jenen Donnerstag zurückdenke, an dem der Kurs begann. Es regnete und der Hangar, der ein halbes Jahr zuvor so voller Leben gewesen war, lag verlassen im grauen Dunst. Drinnen aber herrschte schon rege Tätigkeit, Gott sei Dank war ich nicht der einzige Schüler - geteilte Nervosität ist halbe Nervosität. Einen Kaffee gönnten uns die Lehrer noch, dann legten sie mit der Freifallhaltung los. Zwei Tage lang graue Theorie - zwar nicht ganz so grau wie der Himmel vor der Tür, aber dennoch Theorie. Aufgelockert wurde es immer wieder durch praktische Übungen - aber die Freifallhaltung auf dem Boden zu üben, kann ganz schön anstrengend sein.
Nicht anstrengend, aber im ersten Moment beängstigend waren dann die Übungen im "Hängegurtzeug": ich hing in einem Gurtzeug, das dem Fallschirm nachempfunden ist, an einem Haken von der Decke und mußte den Sprungablauf vom Ausstieg aus dem Flugzeug bis hin zur Öffnung des Fallschirmes simulieren. Damit aber nicht genug - um mich auf die selten, aber doch vorkommenden Fehlfunktionen des Hauptschirmes vorzubereiten, mußten wir die Notfallprozeduren bis zum Umfallen üben: Öffnungshöhe - Fallschirm öffnen - ein Blick zum Schirm hinauf (simuliert durch verschiedene Fotos) - feststellen, ob der Schirm ordnungsgemäß geöffnet hat - und wenn nicht: Blick und rechte Hand auf den Trenngriff (um den "schlechten" Schirm loszuwerden), Blick und linke Hand auf den Reservegriff (um den zweiten Fallschirm zu öffnen) - rechte Hand zieht den Trenngriff - linke Hand zieht den Reservegriff - und der Reserveschirm trägt Dich sanft und sicher zur Erde.
Ich muß wieder schmunzeln - diese Prozedur haben wir so oft geübt, bis ich davon geträumt habe! Aber noch heute habe ich das Gefühl, in jeder erdenklichen Lage - ob tief verschlafen oder mitten im Prüfungsstress - die Notfallprozedur ohne lange nachzudenken durchführen zu können.
Bis wir davon geträumt haben!
Dann waren endlich die Tage der Theorie vorbei - bereits Freitag Nachmittag erschienen die ersten "wirklichen" Fallschirmspringer, jene, die diese Ausbildung schon mehr oder minder lange hinter sich hatten - und wir kamen uns vor wie in der Schule, wo wir immer zu den "Großen" aufblickten. So kam natürlich wieder Leben in den Hangar und wir hörten uns gebannt die Geschichten und die Gespräche an, voller Hoffnung, auch einmal mitreden zu können.
Der Samstag brachte dann endlich besseres Wetter, und wir Schüler konnten unser Schulungs-Tandem machen. Ich fühlte mich ziemlich überlegen - immerhin konnte ich hier bereits gewisse Erfahrung vorweisen! Dennoch war ich bei weitem nicht so locker wie bei meinem ersten Tandem - ging es doch darum, zu beweisen, dass man im freien Fall fähig ist, die Höhe abzulesen und den Schirm zu öffnen. Zwar gab es noch immer ein Backup - den Tandemlehrer - aber trotzdem: hier war eine Aufgabe zu erfüllen, bei der man auch versagen konnte. Aber das Schulungs-Tandem ging glatt über die Bühne und die nächste Aufgabe war schon bei weitem kniffliger: der erste Solo-Sprung...
Leider erlaubten die Wetterverhältnisse für den Rest des Wochenendes keine Schulungs-Sprünge mehr und ich musste am Sonntag abend unverrichteter Dinge nach Hause fahren. Die ganze Woche über wiederholte ich im Geist den Sprungablauf: in die Türe stellen - ein OK vom rechten Lehrer - ein OK vom linken Lehrer - Blick zum Propeller - "Hoch-Runter-Raus" - Becken vor - Höhenkontrolle - Griffkontrolle (Hand auf den Aufziehgriff, mit dem man den Fallschirm öffnet) - Blick zum rechten Lehrer ...usw. bis zur Öffnung des Schirmes. Und endlich, nach tagelangem Warten stand wieder das Wochenende vor der Tür. Genauso wie eben jetzt fuhr ich zu beinahe nachtschlafender Zeit am Samstagmorgen nach Wr. Neustadt, nur das Kribbeln im Bauch war wesentlich stärker. Es war ein sonniger Morgen, glasklare Luft und frische Temperaturen - aber das Zittern kam vielleicht nicht nur von der Morgenkälte...
... nicht vergessen zu atmen ...
Da ich die Erste von den Schülern am Platz war, durfte ich auch den ersten Sprung in der ersten Maschine machen. Möglicherweise war es gut, dass alles so rasch ging: kaum war ich angekommen, nahm mich mein AFF Lehrer zur Seite und ging mit mir nochmals den Fallschirmsprung durch. Er erklärte mir ein weiteres Mal die Notfallprozedur und dann ging es wirklich los: eine Kombi aussuchen, einen passenden Helm, die Brillen, den Höhenmesser, das Funkgerät überprüfen, den Fallschirm anlegen und nicht vergessen zu atmen!
Die Lehrer überprüften meine Ausrüstung nochmals, dann nahmen sie mich in die Mitte - diese beiden würden dabei sein, wenn ich mich zum ersten Mal "alleine" aus einem funktionierenden Flugzeug wagen würde. Wenn ich buchstäblich gelähmt wäre vor Angst, würden diese beiden gemeinsam mit dem Bodenlehrer darauf achten, dass ich dennoch heil zur Erde käme. Aber das hatte ich nicht vor...
Schliesslich saßen wir im Flugzeug, das für meinen Geschmack viel zu schnell abhob und sich in die Höhe schraubte. Mein Mund wurde trocken, mein Magen verkrampfte sich und ich stellte mir zum ersten Mal die Frage, warum ich mir dies eigentlich antäte. Doch plötzlich hörte ich die vertraute Stimme meines AFF Lehrers, der mich aufforderte, den Sprungablauf nochmals durchzugehen. Und so, als ob man einen Schalter umgelegt hätte, bekam ich wieder Luft, der Magen entspannte sich und ich rasselte den Ablauf hinunter wie ein auswendig gelerntes Gedicht. Dabei tauchten wieder all die Bilder aus der Schulung auf und ich begann mich etwas wohler zu fühlen.
Auf 3.000m setzte ich die Brille und den Helm auf und bekam eine letzte Überprüfung der Ausrüstung. Dann waren wir auf Absetzhöhe und die Lehrer öffneten die Türe des Flugzeuges. Zwar war ich von meinen beiden Tandemfallschirmsprüngen bereits auf den frischen Luftstrom vorbereitet, der durch die Tür ins Flugzeug stürmte, aber auch diesmal dachte ich einen Moment lang, ich bekäme keine Luft. Der Lärm, der durch das Flugzeug und den Wind erzeugt wurde, war ohrenbetäubend - die Verständigung würde nur über Zeichen erfolgen. Dann grinste mich mein "Reserve Side"-Lehrer breit an, zeigte mir einen hochgestreckten Daumen und schwang sich aus der Tür. Ohne Nachzudenken stellte ich mcih in die Türe, schaute nach rechts zu meinen "Main Side"-Lehrer, bekam ein OK, schaute nach links an, bekam ein OK, schaute zum Propeller und mit Hoch-Runter-Raus waren wir plötzlich im freien Fall.
Ich erledigte meine Aufgaben wie ein Roboter, registrierte die Hilfestellungen und die Aufforderungen, etwas mehr "Becken vor" zu machen, und bevor ich noch den freien Fall richtig geniessen konnte, war es Zeit den Schirm zu öffnen. Über mir entfaltete sich ein wunderschöner, regenbogenfarbener Fallschirm und mir kam es so vor, als könnte ich zum ersten Mal seit dem Aufwachen tief durchatmen. Doch da hörte ich schon die Stimme aus dem Funkgerät - Ausrasten war erst später angesagt! Zuerst musste der Luftraum kontrolliert werden - ein Zusammenstoss am Schirm kann schlimme Folgen haben. Dann kam der Schirm dran und schließlich waren die Bremsen zu lösen. Und schon kam der Boden näher und näher. Ich landete sanft auf beiden Beinen stehend - und nun endlich konnte ich wirklich durchatmen.
... alle haben einmal angefangen ...
Und während ich begann, meinen Schirm zusammenzuklauben, durchströmte mich ein einzigartiges Glücksgefühl und eine Lebensfreude, die ich noch nie in dieser Intensität empfunden hatte. Keine zehn Minuten zuvor war ich aus einem fliegenden Flugzeug ausgestiegen, war mit etwa 200 km/h im freien Fall unterwegs gewesen und hatte aus eigener Kraft den Fallschirm geöffnet und zu Boden pilotiert!
Ich bin jetzt schon fast bei der Autobahnabfahrt nach Wr. Neustadt und spüre wieder diese Euphorie, genauso wie damals. Mittlerweile habe ich schon fast 50 Fallschirmsprünge absolviert - ein absolutes Baby im Vergleich zu den anderen Springern im Verein.
Aber alle haben einmal angefangen - und alle bestätigen mir, dass die Nervosität, die ich auch heute noch oft vor dem Sprung spüre, ganz natürlich ist: ein bisschen Nervosität schadet nicht, im Gegenteil, sie hält uns wachsam. Und nach jedem Sprung, wenn ich wieder mit beiden Beinen auf der Erde stehe, könnte ich die ganze Welt umarmen und vor Freude Luftsprünge vollführen... was ich ja eigentlich auch mache!
Heute hat Eva mehrere tausend Sprünge, eine Vielzahl an Medaillen und einen Staatsmeistertitel im 4er Relativ.
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